Dienstag, 12. März 2013

Eine wahre Geschichte


Rauch an Bord von Lufthansa Boeing 747 (Austrian Wings)


„Würden Sie bitte das Fenster öffnen?“
„Would you open the window, please?“
„Puede abrir la ventana por favor?“
Irritiert öffne ich die Augen und sehe, wie nacheinander alle Klappen an den Fenstern des Flugzeugs hochgezogen werden, sodass mir grelles Sonnenlicht entgegenschlägt. Ich blinzele. Wie spät ist es denn überhaupt? Neun Uhr morgens, nach mexikanischer Uhrzeit. Zeit fürs Frühstück vielleicht? Aber trotzdem ist es eigentlich ungewöhnlich, dass die Stewardessen einen so unsanft aus dem Schlaf reißen. Langsam richte ich mich auf und reibe mir die Augen. Ich habe vielleicht fünf Stunden geschlafen.

Nachdem das Flugzeug in Mexiko schon mit fast fünf Stunden Verspätung losgeflogen war, hatten wir uns eigentlich alle etwas Ruhe verdient. Aber an diesem Tag schien wohl irgendwie alles schief zu gehen. Die Verspätung war dadurch zustande gekommen, dass ein Teil an den Bremsen defekt war und ausgetauscht werden musste. Das klang natürlich von Anfang an nicht besonders vertrauenserweckend. Aber uns Fluggästen blieb in dem Moment nichts anderes übrig, als den Technikern und dem Piloten  zu Vertrauen in deren Hände wir unser Leben gelegt hatten.
Nach zwei Stunden Wartezeit hatte sich der Pilot wieder bei uns gemeldet.
„Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht“, erklärte er. „Die Gute ist, dass wir das gesuchte Ersatzteil gefunden haben und es momentan eingebaut wird. Die Schlechte ist, dass wir die hintere Ausgangstür nicht mehr benutzen können und daher alle Passagiere aus den Reihen 50-56 bitten müssen auszusteigen.“
Ein Aufstöhnen ging durch die Menge der Passagiere. Aufgrund der angestauten Hitze hatte irgendein Idiot scheinbar die hintere Notausgangstür geöffnet, um Frischluft ins Flugzeug zu lassen. Dabei war die Notrutsche aufgegangen. Die Nottür war dadurch natürlich unbrauchbar geworden und die Passagiere in der Nähe dieser Tür mussten aussteigen. Ich saß in Reihe 41 und war daher nicht betroffen. Dennoch blieb bei mir ein mulmiges Gefühl zurück, als die Passagiere das Flugzeug verließen. So ein Gefühl, dass ich vielleicht lieber mit ihnen gehen sollte. Man wusste schließlich nie, was noch kommen konnte. Meine Gedanken wanderten automatisch zu dem Film „Final destination“. Aber das war wahrscheinlich Unsinn. Ich war also geblieben, und hatte sogar zu denen gehört, die sich nach dem Start einen Platz auf den verlassenen Sitzen zwischen Reihe 50 und 56 sichern konnten, um sich zum Schlafen auszustrecken.

Als ich jetzt allerdings sehe, wie die Stewardessen die schlafenden Passagiere wachrütteln, wünsche ich mir plötzlich, ich hätte doch das Flugzeug verlassen, als ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Jetzt ist es zu spät. Jetzt kann ich nur noch beten und hoffen, dass es doch nur um das Frühstück geht und alles in Ordnung ist.
„Meine Damen und Herren“, erklingt in diesem Moment die Stimme des Piloten aus dem Cockpit und ich bekomme eine Gänsehaut. „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es Rauchbildung im Cockpit und im Businessbereich gegeben hat. Daher sind wir dazu gezwungen eine außerplanmäßige Landung auf den Azoren einzuleiten. Wir möchten Sie daher bitten sich jetzt alle auf die Landung vorzubereiten. Wir werden in zwanzig Minuten landen.“
In zwanzig Minuten? Ich starre ungläubig den Monitor an und hoffe mich verhört zu haben. Aber als die Informationen noch einmal auf Englisch und dann auf Spanisch wiederholt werden wird mir klar, dass der Pilot es absolut ernst meint. Rauch, geht es mir durch den Kopf. Feuer. Feuer an Bord eines Flugzeugs? Das kann nun wirklich nichts Gutes bedeuten. Ich schlucke und wende mich dann einer Stewardess zu. Bisher scheinen alle Leute noch ganz ruhig zu sein. Kein Grund zur Panik also.
„Müssen wir jetzt wieder auf unsere alten Plätze zurück?“, frage ich zögerlich.
„Ja“, bestätigt die Dame. „Bitte nehmen Sie zur Landung wieder ihre alten Plätze ein. Die hinteren Reihen müssen frei bleiben.“   
Ich nicke und fühle mich wie betäubt, während ich meine Sachen einsammele und mich auf den Weg zurück zu Reihe 41 mache. Meine Gedanken fahren Karussell. Eine Notlandung. Oder zumindest eine Sicherheitslandung. Auf den Azoren. Wo um Himmels Willen sind denn die Azoren? 
Ich verstaue mein Handgepäck, setze mich hin schnalle mich an. Dann nehme ich das Hundekissen in den Arm, das meine Mutter mir als Ersatz für die vergessene Nackenrolle mitgegeben hat. Seine Nähe ist tröstlich und ich versuche mir keine Sorgen darüber zu machen, was alles passieren könnte.
Neben mir fangen die anderen Passagier an im Lufthansa Magazin nach einer Karte zu suchen, wo ausgeschrieben steht, wo die Azoren sich überhaupt befinden. Ich folge ihrem Beispiel und bin erstaunt. Die Azoren sind noch ziemlich weit vom Festland entfernt und wirken absolut winzig. Sofort ist die Nervosität wieder da. Wir sind in einem riesigen Flugzeug. In einer Boeing 747. Wie um Himmels Willen soll so ein Flugzeug auf dem Flughafen einer so kleinen Insel landen? Vor allem, wenn es vor ein paar Stunden noch defekte Bremsen hatte. Mein Magen verkrampft sich und ich lege das Magazin wieder weg.
Jetzt geht es abwärts. Aber immer noch ist es ziemlich ruhig im Flugzeug. Dann jedoch ertönt die Stimme einer Stewardess durch den Lautsprecher. Sie klingt hektisch du gestresst.
„Ich muss Sie jetzt wirklich bitten sich dringend auf die Landung vorzubereiten. Stellen Sie die Rückensitze gerade, klappen Sie die Tische ein und lassen Sie auf gar keinen Fall etwas in den Gängen liegen. Verstauen Sie bitte ihr Gepäck. Ich wiederhole. Verstauen Sie ihr Gepäck, damit der Weg zu den Notausgängen frei ist.“
Ich umarme das Kissen noch fester und keuche auf, als das Flugzeug einen Satz macht und heftig anfängt zu wackeln.
Die Stewardess wiederholt ihre Aufforderung mit ähnlicher Intensität auf Englisch und Spanisch. Wenn uns bis dahin nicht klar war, wie erst die Situation ist, dann wissen wir es spätestens jetzt. Wir werden notlanden. Vielleicht sogar im Wasser. Und wir werden wahrscheinlich das Flugzeug über die Notrutschen verlassen müssen. Die Nervosität des Personals ist ansteckend. Aber trotzdem bleibt alles still. Niemand schreit. Niemand flippt aus. Jeder bleibt mit seinen Sorgen für sich. Und alle hoffen und beten.
Es ist interessant, was einem in solchen Momenten für Gedanken durch den Kopf gehen. Ich war nie ein religiöser Mensch und werde wohl auch nie einer sein. Aber in diesem Moment wünsche ich mir plötzlich, dass es einen Gott gäbe, zu dem ich sprechen könnte. Dass ich diesen Glauben hätte und mich dadurch besser fühlen könnte. So jedoch bleibt mir nichts anderes als zu hoffen, dass irgendwie alles gut wird. Dass der Pilot weiß, was er tut und dass die Bremsen nicht versagen. Das Flugzeug rappelt wieder heftig und ich sehe draußen immer noch nichts als Wasser, Wasser und noch mehr Wasser. Das wars dann wahrscheinlich, schießt es mir durch den Kopf.
Was das für ein Schock wird das für meine Familie sein, wenn ich nicht mehr wiederkomme. Für meinen Freund, mit dem ich zusammenlebe. Für die Freundinnen, die ich in Mexiko besucht habe und natürlich auch für meine Freunde zu Hause. Ich werde nie mein Studium beenden. Nie Kinder bekommen. Und die Leute werden nie erfahren, wie Nubila ausgeht. Verrückt eigentlich, aber der Gedanke beschäftigt mich fast am meisten. Natürlich wäre es mir wichtiger zu überleben als meine Serie zu Ende zu schreiben. Aber trotzdem. Wenn ich schon sterben müsste, wäre es toll sie beendet zu haben. Toll zu wissen, dass etwas von mir bleibt. Auch für Menschen, die mich nie kannten und die ich nie kennen werde.
Reiß dich zusammen, Hannah, sage ich zu mir selber. Noch bist du nicht tot und noch ist gar nichts Schlimmes passiert. Siehst du hier irgendwo Feuer? Nein. Riechst du überhaupt Rauch? Eigentlich auch nicht. Dann kann es also gar nicht so schlimm sein. Ich schlucke, drücke das Kissen noch enger an mich und schließe die Augen. Es rappelt wieder, ein paar Passagiere schreien auf, aber niemand gerät wirklich in Panik. Wir sinken, und sinken… und setzen auf. Es holpert. Wir bremsen. Und ich halte den Atem an. Die Bremsen greifen und schließlich kommen wir endlich zum Stehen. Wir haben es geschafft. Wir sind unten. Heil und gesund.

Alle Passagiere fangen an zu klatschen und mir schießen vor Erleichterung Tränen in die Augen.
„Estas bien?“, fragt mein Sitznachbar mit dem ich mich in Mexiko City während der Wartezeit eine Weile unterhalten hatte.
Ich kann nur nicken. Ja. Es geht mir gut. Uns allen geht es gut. Dank dem Piloten und einer großen Portion Glück ist alles gut gegangen und wir sind heil in Terceira auf den Azoren angekommen. Ich lächle und rufe sofort meinen Freund an.
„Ich habe im Internet gesehen, dass ihr plötzlich abgedreht seid“, sagt er. „Ich habe einen riesen Schreck bekommen.“
„Nicht nur du“, bemerke ich unglücklich und ärgere mich darüber, dass meine Stimme so zittrig klingt. „Ich bin bloß froh, dass wir endlich unten sind. Kannst du meiner Mutter sagen, dass wir notlanden mussten? Sie wartet sicher schon am Flughafen.“
„Natürlich mache ich das. Melde dich wieder sobald du was weißt. Ich hole dich dann ab. Egal um welche Uhrzeit.“
„Danke“, sage ich. „Ich liebe dich, Schatz. Ich werde so froh sein, wenn ich wieder zu Hause bin.“
„Ich liebe dich auch. Und sieh es positiv, Hannah. So lernst du nochmal die Azoren kennen.“
Ich muss lachen und es geht mir schon gleich wieder besser.

In den nächsten Stunden wird nach vielem Hin und Her beschlossen, dass wir die Nacht auf der Insel verbringen werden und dass uns am nächsten Tag ein anderes Flugzeug abholt. Wir Treppen an die Ausgänge geschoben. Die Feuerwehr ist zwar da, aber scheinbar gibt es kein Feuer und die Situation war weniger gefährlich als gedacht. Nach Stunden werden wir endlich in Hotels gebracht.
Die Insel ist tatsächlich wunderschön und ich lerne viele nette Leute kennen, die mein Schicksal teilen und mit mir gestrandet sind. Wir bekommen ein wunderschönes Hotel mit Meerblick und so langsam weicht der Schock. Wir haben es überstanden. Es ist nochmal gut gegangen und wir werden wieder nach Hause kommen. Ich verbringe eine ruhige Nacht in einem schönen Hotel und freue mich am nächsten Tag darauf endlich nach Hause zu kommen.
Natürlich ist es dann aber nicht ganz so einfach. Da die Flughafenmitarbeiter nicht daran gewöhnt sind so große Flugzeuge zu versorgen, dauert es zwei weitere Stunden, bis wir endlich loskommen. Der Flug verläuft dann glücklicherweise sehr problemlos und wir treffen schließlich am Samstagabend (09.03.13) um 19 Uhr (nach deutscher Zeit) mit 28 Stunden Verspätung in Frankfurt ein. Ursprüngliche Ankunft wäre am Freitag (08.03.13) um 15 Uhr gewesen. Hätte ich also zu denen gehört, die in Reihe 50-56 saßen, dann wäre ich wahrscheinlich eher in Deutschland eingetroffen als jetzt.

Aber dann hätte ich wohl auch niemals die Azoren kennengelernt und hätte jetzt nichts zu erzählen. J    



Willkommen

Herzlich Willkommen auf meinem Blog.

Es ist zwar noch sehr leer hier, aber ich muss mich auch noch ein wenig zurecht finden und hoffe, dass ich den Blog sehr bald mit vielen Informationen füttern kann. :)
Bis dahin wünsche ich euch viel Vergnügen hier.